In den Jahren der Einführung des Rundfunks hatte das neue Medium Radio eine vielleicht ähnliche Bedeutung wie zuvor die Einführung des Telefons und später des Fernsehens und schließlich in unseren Zeiten der Beginn des Internets.
Es muss natürlich ausserordentlich beeindruckend gewesen sein, zeitnah Informationen aus aller Welt ins Wohnzimmer zu bekommen und Musik ohne Schallplatten daheim in großer Auswahl hören zu können. War doch um 1923 als Nachrichten- und Unterhaltungsmedium nur bekannt: Zeitungen, Zeitschriften, Schallplatten, Konzerte, Theater, vielleicht bedingt auch das Telefon.
--> rechts: Der "feine Herr" lädt 1924 die Damen zum Radio-Tanzen ein.
Alle diese Medien verlangten nach Beschaffungskontakt nach aussen. Erst der Rundfunk brachte unmittelbare Teilhabe an darstellender Kultur und Information (gesendet an alle) direkt ins Heim.
Neben den rein technischen Aspekten und den Programmhinweisen und Funk-Neuigkeiten findet man in alten Zeitschriften kleine Prosa, Anekdoten, künstlerische Zeichnungen und sogar Gedichte, die sich mit RADIO und seinen Umständen und Gewohnheiten der Hörer beschäftigten.
Hier sind die Druckerzeugnisse gemeint, nicht Sendungen über Radio. Heute kann ich im Gegensatz dazu so einfach kein Gedicht nennen, dass sich mit Radio beschäftigt. Vielleicht die Schallplatte "Radio Activity" der Band "Kraftwerk", wo auf dem Cover ein stilisierter DKE (Deutscher Kleinempfänger) zu sehen ist.
Nachfolgend einige "Arbeitsproben" damaliger Autoren. Ich habe versucht herauszubekommen, wer sich hinter den Autoren verbirgt, ist mir aber nicht gelungen. Kann hier Jemand weiterhelfen, bitte ich um Nachricht. Der damalige Schreibstil und die Wortwahl und Semantik mag etwas ungewohnt sein, hat aber sicher seinen eigenen Charme:
"Mann, es ist Zeit!". Doch er bleibt stumm. "Schmidts werden empört sein!" Er aber hat den Hörer um, Und will jetzt nicht gestört sein. Er lacht und hört nur mit Gebrumm Er hat nun mal den Hörer um - Da ist er nicht zu sprechen!
Auch morgens, wenn der Kaffetisch So nett und reich gedeckt ist, Die Butter und die Semmel frisch Und rosig das Konfekt ist, Hält ihn ein anderes Fluidum Als frohes Frühstücks-Zeichen. Er hat nun mal den Hörer um - Da ist er nicht zu sprechen!
Ihn lockt kein Film, ihn lockt kein Buch. Theater? Überflüssig. Und kommt ein wichtiger Besuch, Ist er des überdrüssig. Er weiß recht gut, der nimmt es krumm, Wird sicher mit ihm brechen - Egal. Er hat den Hörer um - Da ist er nicht zu sprechen!
Er ist das beste Publikum Des Rundfunks. Jede Note Verschlingt er mit dem Hörer um. - Und kommt der Kassenbote (Man muß für soviel Gaudium Doch mal Gebühren blechen!) Hat er erst recht - den Hörer um - Da ist er nicht zu sprechen!
Radiavolo |
Aus der Zeitschrift "Funk", 1924, Heft 10, Seite 186
Vox-Haus-Lied
Achtung! Achtung" Achtung! Hier der Berliner Rundfunk! Tönt es täglich an mein Ohr.
Sender I gibt her vom Vox-Haus, Sender II verstärkt den Vox-Schmaus, Wißbegierig lauscht mein Ohr.
Und es sendet in die Runde Ihr Programm die Rundfunkstunde, Freudig spitzet sich mein Ohr.
Was uns alles da beschieden Mitten in des Stübchens Frieden, Herrlich klingt es an mein Ohr.
Unsre großen Komponisten, Sänger, Geiger und Flötisten Dringen an mein lauschend Ohr.
Heiteres, Ernstes, Rezitieren, Prosa, Dichtung, Musizieren Trägt die Welle an mein Ohr.
Weltenwunder, Rat und Bildung, Sportberichte, Zeit und Witt'rung, Alles lernt mein horchend Ohr.
Ach, wie ich das Vox-Haus liebe und das Rundfunklauschgetriebe, Selig bin ich - und ganz Ohr!
Charlotte Gerlich, Berlin NW23, Klopstockstr. 28
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Zeitschrift "Funk", 1924, Heft 16, Seite 258.
... mehr zum Voxhaus
Die beiden Alten
Feierlich sitzen beide Alten. Großpapa sieht man bedächtig Ab und zu am Funktisch schalten. Großmama spricht: "Oh wie prächtig Klingen Tänze und Gesänge Doch bei deiner Wellenlänge!"
Draußen rieseln weiße Flocken. "Alter!", sagt die Alte sinnend, "Als ich jung war, und am Rocken Saß, oft halbe Nächte spinnend, Labte uns ein andrer Sang: Einer Spieluhr Kling und Klang!"
"Ja", lacht er: "ich weiß, mein Jettchen! Und du warst so arg begeistert, Als das klirrende Spinettchen Ich mit sanfter Hand gemeistert. O, wie war man damals jung! Und wer ahnte da den Funk?!"
Draußen rieseln leise Flocken. In das Zimmer dringt kein Störer. An der beiden Silberlocken Schmiegt sich nickelblank der Hörer. Und nun schweigen sie, sie lauschen: Worte, Stimmen, Töne rauschen.
Doch der alten Zeiten Schimmer Ist dahin für die Ergrauten: Denn es dringt ins stille Zimmer Neue Zeit mit neuen Lauten. Großmama hörts froh mit an; Und sie sprach, wobei sie sann: "Meines spielt: Wie ist's möglich dann! Was spielt deines, lieber Mann?"
Radiavolo
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Zeitschrift "Funk", 1924, Heft 32, Seite 500
14.06.2012 / 15.06.2012
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